NAMAYCUSH IN DEN ALPEN

Von Stefan Küng

Stefan Küng, aufgewachsen im Zürcher Oberland in der Schweiz, lebt heute in Uster am Greifensee. Seine Faszination fürs Angeln entdeckte er bereits als kleiner Junge, während er gemeinsam mit seinem Bruder und dem Großvater zum Fischen aufbrach. Mit Mitte zwanzig entdeckte er die Bergseefischerei für sich und seit 2014 ist er fester Bestandteil des Fishing-Teams der Schweizer Traditionsmarke Stucki Thun. Stefan arbeitet als Fotograf . Zusammen mit einem Fischerfreund der ersten Stunde, gründete er 2008 die Firma Löwenzahn Design. Eine vortreffliche Angelegenheit, wenn somit Hobby und Beruf miteinander verbunden werden können. Als Vater von zwei Jungs, möchte er natürlich sein Wissen über das Fischen und einen nachhaltigen Umgang mit der Natur, an die nächste Generation weitergeben. Somit sind alle Voraussetzungen erfüllt, um den Schweizer Namaycush Flüsterer offiziell zum SCALE-Boy mit wertvollem Prädikat zu ernennen. Grüezi und willkommen Stefan.

Instagram: https://www.instagram.com/stefankueng81/

NAMAYCUSH IN DEN ALPEN

Der Regen ließ langsam nach und die dunklen Wolken zogen in Richtung Horizont davon. Es war kurz vor der Abenddämmerung. Nach stundenlangem Werfen ohne Interesse an meinen Ködern, zupfte ich den kleinen Stickbait nur noch halb konzentriert über den felsigen Grund. Ich hatte noch nicht viel Erfahrung am Bergsee und fischte ohne große Bedenken eine Ultralight-Combo. Doch dann, unmittelbar vor meinen Füssen, kam der knallharte Biss. Der Fisch zog sofort Schnur ab und die Rolle leerte sich mehr und mehr. Nach dem ersten Run versuchte ich Schnur zurück zu gewinnen. Meter um Meter konnte ich meinen Gegner in Richtung Ufer bewegen. Immer wieder gingen Kopfschläge durch meine zu kurze Rute und ich machte mir Sorgen wegen dem kleinen Watkescher. Meine Freunde waren unerreichbar auf der anderen Seite des Sees. Plötzlich gab es vor mir einen grossen Schwall an der Oberfläche und wieder wurde kompromisslos Schnur abgezogen. Dieses Spiel wiederholte sich noch zwei Mal und dann dachte ich, «jetzt oder nie». Also machte ich die Bremse etwas zu und versuchte den Fisch zum Kescher zu dirigieren. Aber dieses Mal war er schlauer und zog seitlich weg in Richtung Ufer. Mir ging noch durch den Kopf «pass auf, die Felsen»! Und dann, Steinschnitt… Die Spannung war plötzlich weg, ich konnte es kaum fassen. Meine erste Begegnung mit einem großen Namaycush ist schon knapp 10 Jahre her und es sollte lange dauern, bis ich das nächste Mal ein solches Kaliber am Haken hatte. Aber alles der Reihe nach.

EIN KANADIER EROBERT DIE SCHWEIZ

Die ersten Namaycush in der Schweiz, wurden 1886 im Sägistalsee im Kanton Bern eingesetzt. Darauf folgte der Besatz in mehrere Bergseen sowie in den Lago Maggiore*. In vielen Schweizer Bergseen, insbesondere in den großen Stauseen, haben sie einen ausgezeichneten Lebensraum gefunden und können sich erfolgreich fortpflanzen. Ab einer Größe von ungefähr 40 – 50 cm ernähren sich die Räuber ausschließlich von Fischen. Einige Exemplare werden über einen Meter gross und mehr als 10 Kilo schwer! An Gewässern mit Massfischbesatz bedienen sie sich dankend an den frisch besetzten Regenbogenforellen, Saiblingen sowie an seinen Artgenossen. Darum werden die Großen an einigen Seen als Bedrohung für den übrigen Fischbestand angeschaut und man versucht sie mit Netzen abzufischen. Jedoch nur mit mäßigem Erfolg und nach ein paar Jahren sind meist wieder stattliche Exemplare vorhanden. In den großen Seen des Engadins hat man die Eisfischerei unter speziellen Bedingungen zugelassen, um den Bestand gezielt zu dezimieren. In den ersten zwei Jahren hat dies gut funktioniert und es wurden viele, teils kapitale Fische gefangen. Mittlerweile haben die Fänge aber stark nachgelassen. Man fragt sich, ob die schlauen Räuber die Eisfischer durchschaut haben, oder ob der Bestand tatsächlich stark abgenommen hat. Wahrscheinlich stimmt beides. Auf jeden Fall werden immer wieder grosse Signale auf dem Echolot gesichtet. Diese nähern sich zwar den Ködern, ziehen aber im letzten Moment fast immer wieder ab. Nichtsdestotrotz ist der Salvelinus Namaycush ein wichtiger Bestandteil der Schweizer Fischerei geworden und jede Region hat inzwischen seine eigenen Namen für den Kanadischen Seesaibling. Im italienisch sprechenden Tessin nennt man ihn Trotta Canadese, im Wallis Cristivomer und im Berner Oberland sagt man schlicht Kanadier.

DER JÄGER AUS DER TIEFE

Um die Namaycush zu finden, sollte man sich zuerst ein Bild von den Strukturen eines Gewässers machen. Übergänge von tiefen zu flachen Zonen sind interessant, sowie der Wechsel von felsigem zu kiesigem Untergrund. Bacheinläufe sind ebenfalls gute Stellen und Staumauern haben eine magische Anziehungskraft auf die weiß gefleckten Räuber. Namaycush haben meist kurze, aber intensive Bissphasen. Wenn sie aktiv sind ziehen sie oft in die Uferbereiche um zu jagen. Wenn man eine gute Stelle zum richtigen Zeitpunkt befischt, geht es oft Schlag auf Schlag. Danach kann es aber für Stunden (oder Tage!) keinen einzigen Biss mehr geben. Vor allem die großen Exemplare sind vom Ufer aus selten erreichbar und es braucht viel Ausdauer, um einen zu fangen. Nach meiner Erfahrung sind sie jeweils nur für ein paar Tage aktiv. Dann streifen sie alleine oder in Gruppen von zwei bis fünf Exemplaren umher, auf der Jagd nach Beutefischen. Danach verschwinden sie wieder für ein oder zwei Wochen in die Tiefe. Namaycush lieben kaltes Wasser und an vielen Gewässern sind sie im Frühling bzw. Anfang Sommer am aktivsten. Oder dann wieder im Herbst, wenn die Tage kürzer werden und die Temperaturen sinken. Im Hochsommer hat man die besten Chancen in den frühen Morgenstunden, oder an Schlechtwettertagen. Weitere Einflüsse auf die Aktivität der Fische haben Mondphasen, Wetterwechsel und Druckveränderungen. Die Diskussionen zu diesem Thema mit meinen Fischerfreunden, sind mindestens so spannend wie die Fischerei selbst. Nach jedem Trip kommen neue Erfahrungen dazu und alte Theorien werden über den Haufen geworfen. An dieser Stelle möchte ich noch anmerken: Die Erkenntnisse in diesem Bericht, beruhen auf den persönlichen Erfahrungen von mir und meinen Freunden. Ich gehe davon aus, dass sich diese in den nächsten Jahren noch weiterentwickeln und laufend verändern werden.

JIGGING ODER TWITCHEN?

Wenn ich aktive Namaycush gefunden habe und es der Gewässergrund zulässt, fische ich am liebsten mit Gummifischen am Jigkopf. Das Gewicht wähle ich so leicht wie möglich. Ich möchte langsam Jiggen, ohne aber den Kontakt zum Köder zu verlieren. Die Fische reagieren sehr interessiert auf sinkende bzw. abtaumelnde Beute und eine lange Sinkphase ist daher von Vorteil. Die Bisse können sehr vorsichtig sein und wer nicht konzentriert ist, kriegt einen Biss oft gar nicht mit. Als gute Farben haben sich grelle Grün- und Gelbtöne, Orange und Weiß bewährt. Aber auch natürliche Dekors haben ihre Berechtigung in der Köderbox immer wieder bewiesen. Wenn es darum geht die Fische zu lokalisieren, verwende ich am liebsten Wobbler. Die Hardbaits ziehen mehr Aufmerksamkeit auf sich und ich kann in kurzer Zeit viel Strecke machen bzw. Wasserfläche abfischen. Zuerst starte ich meist mit flach laufenden Suspender-Modellen. Wenn dies nicht funktioniert, versuche ich mit Sinking Wobblern oder mit Stickbaits weiter unten mein Glück. Die ideale Köderführung muss immer wieder von neuem ausprobiert werden. Mal funktioniert aggressives twitchen am besten und beim nächsten Mal gleichmäßiges einkurbeln. Wenn Wobbler und Gummis keine Reaktionen auslösen, ist der gute alte Löffel oft noch der Retter in Not. Mit den schweren Metallködern lässt sich weit auswerfen, auch bei starkem Gegenwind. Zudem kann man sie in Tiefen fischen, wo die modernen Spinnköder oft alt aussehen. Im Lauf der Jahre und nach einigen frustrierenden Erlebnissen, habe ich mein Material immer weiter aufgerüstet. Mittlerweile verwende ich für die Fischerei am Bergsee Spinnruten mit einer Länge von 2.40 – 2.70 und einem starken Rückgrat. Als Hauptschnur empfehle ich geflochtene mit einer Tragkraft von mindestens 11 Kilogramm und als Vorfach ein 0.33-er bis 0.40-er Fluorcarbon.

DAS ABENTEUER STEHT IM VORDERGRUND

Wenn ich einen guten Fisch gefangen habe, stelle ich mir die Frage ob ich ihn entnehmen soll oder nicht. Eignet sich die Grösse für mich und meine Begleiter? Haben wir die Möglichkeit ihn gebührend zuzubereiten? Oder soll ich ihn wieder schwimmen lassen? An einem Gewässer wo die natürliche Reproduktion funktioniert und kein Maßfischbesatz stattfindet, sollte man sich bewusst sein, wie wichtig ein Erwachsenes Exemplar für die Zukunft ist. Ich finde es wichtig, dass wir uns als Fischer mit diesem Thema auseinandersetzen und die Fische und die Natur mit Respekt behandeln. Bei einem Bergseetrip ist für mich das Abenteuer und das Naturerlebnis genauso wichtig, wie der Fangerfolg. Die atemberaubende Kulisse und die Macht der launischen Bergwelt lässt mich den Alltag sofort vergessen. Ich tauche ein in eine Welt, in der nur noch ganz wenige Dinge wichtig sind: Wo stelle ich mein Lager auf? Was macht das Wetter? Wann trinke ich mein mühsam hochgeschlepptes Bier? Und vor allem, wo und wie fange ich einen schönen Namaycush? Natürlich können einem die Bedingungen in den Bergen auch mal ans Limit bringen. Wenn mir der Schneeregen frontal ins Gesicht klatscht und die Finger taub sind vor Kälte, taucht schon hin und wieder die Frage auf: Warum tue ich das eigentlich? Doch nur kurze Zeit später wird es mir jeweils wieder klar. Ich fühle mich in diesen Momenten als Teil der Natur, voller Energie und fokussiert wie sonst selten. Und kaum bin ich wieder Zuhause, träume ich schon vom nächsten Bergsee-Abenteuer.

DER KÖNIG VOM BERGSEE

An einem schönen Herbsttag im Jahr 2020, war ich mit zwei Freunden an einem Bergsee unterwegs. Wie immer auf der Suche nach einem wilden Namaycush. Der Morgen war eiskalt und die Rutenringe mussten nach jedem Wurf vom Eis befreit werden. Als die Sonne gegen Mittag endlich über die Berge kam und die Natur aus ihrer Starre befreite, wurden auch die Namaycush plötzlich aktiv. Immer wieder sahen wir schöne Exemplare vorbeiziehen. Nach diversen Fehlbissen auf meinen Gummifisch, hatte ich einen Fisch über 60 cm im Drill verloren. Na ja, Shit happens. Und so schnell wie die Truppe aufgetaucht war, so schnell war sie auch wieder verschwunden. Zurück zu Hause ließ mir der verlorene Fisch aber keine Ruhe. Ich wusste, dass ich die Geschichte nicht abschließen konnte, ohne in diesem Herbst noch einmal zurückzukehren. Ich holte die Bewilligung bei meiner Frau und meinen Jungs und zwei Wochen später war ich wieder an der gleichen Stelle. Es war eine Morgenstimmung wie im Bilderbuch und nachdem ich ein paar Fotos gemacht hatte, versuchte ich mein Glück mit einem Wobbler. Beim zweiten Wurf spürte ich kurz vor dem Ufer zuerst den Boden und dann, war das ein feiner Biss? Sicherheitshalber setzte ich sofort den Anschlag und es war tatsächlich ein Fisch. Und was für einer! Kurze Zeit später lag er im Kescher, ein großer makelloser Cristivomer.

* Source: Mitteilungen zur Fischerei Nr. 72, Einwanderungen von Fischarten in die Schweiz, published in 2002 by BUWAL (Swiss Agency for the Environment, Forests and Landscape).

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